Steingarten – Nesselfieber im Steingärtli oder doch neue Therapieansätze?!

Ich scheine wirklich ein außergewöhnliches Talent dafür zu haben, mich immer wieder sprichwörtlich in die Nesseln zu setzen. Einige meiner Mitschüler werden sich über diese Aussage sicherlich köstlich amüsieren – schließlich vergeht kaum ein Schultag, an dem nicht über meine berüchtigte „Nesseltherapie“ gescherzt wird, liebevoll als „Andreas' Urticae-Behandlung“ bezeichnet – natürlich stets mit einem großen Augenzwinkern!

Was in der Therapie gezielt für Reiz, Stimulation oder sogar Umstimmung eingesetzt wird, sorgt bei meinem „unfreiwilligen“ Hineingeraten zunächst für alles andere als die gewünschten Effekte – zumindest auf den ersten Blick.

Aber von Anfang an:
Andrea verfügt über ein außergewöhnliches Sensorium an Wahrnehmungen – schon seit Kindertagen. Das gehört zu mir, ich kenne es nicht anders.
Ich rieche Unstimmigkeiten, Ungerechtigkeiten, Egokämpfe, Unehrlichkeit und Unwahrheiten schon aus gefühlten 1.000 Kilometer Entfernung. „Riechen“ ist vielleicht hier nicht das richtige Wort, aber es beschreibt es bildlich ganz gut – damit du eine Vorstellung davon bekommst.
Lass mich dir ein weiteres Bild dazu geben:
Stell dir vor, du sitzt an einem Tisch gemeinsam mit der Unstimmigkeit, der Ungerechtigkeit, dem Ego und der Unehrlichkeit – was löst das für ein Gefühl in dir aus?
Bei mir ist es meist ein alles andere als angenehmes: kein schönes, offenes, leichtes, warmes oder wohliges Gefühl. Stattdessen legt sich eine Schwere über mich, die kaum greifbar, aber deutlich spürbar ist – wie ein unsichtbares Gewicht, das sich über mein Körper legt. Die Luft wird dichter, das Atmen fällt schwerer, und mein Herz schlägt schneller, als ob es versuchen wollte, dem Druck zu entkommen. Der Raum um mich herum scheint seine Leichtigkeit langsam zu verlieren...

Und bei dir?
Wie fühlt sich für dich so eine Umgebung an?
Löst sie ein wohlig-warmes Gefühl aus, oder empfindest du sie eher als eng und bedrückend?

Ein kleinen Hinweis dazu: Was ich hier beschreibe, ist lediglich die Abbildung einer (meiner) Oberfläche – eine stark vereinfachte Darstellung. Die Wahrheit ist, dass alles weitaus komplexer ist und sich keineswegs so klar differenzieren lässt, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.
Es lässt sich auch nicht einfach in „gut“ oder „schlecht“ einteilen, denn es spielen unzählige weitere Parameter mit hinein, die das Ganze in ein vielschichtiges Geflecht verwandeln.
Weshalb schreibe ich das?
Weil die Gefahr besteht, in Be- und Verurteilungen zu verfallen. Das menschliche Gehirn ist darauf konditioniert, Dinge in „gut“ oder „schlecht“ einzuteilen – ein Überbleibsel der Evolution, bekannt als Fight or Flight-Mechanismus. Ebenso neigt unser Verstand dazu, aus einzelnen Bruchstücken ein Ganzes zu konstruieren – ein Prinzip des Konstruktivismus.

Wahrnehmen bedeutet also nicht nur, die Außenwelt zu beobachten, sondern auch sich selbst – die eigenen Gedanken, Muster und automatischen Urteile zu erspüren und zu ergründen. Es ist ein ständiger Balanceakt zwischen Reflexion und Wahrnehmung.

Nun aber zurück in mein "Nessel"-Erlebnis! Kriegst du auch schon Pusteln beim blossen Gedanken daran? Mi biiiisssst scho itze überau.....iiiiiiihhhh!!!!
Es war ein Tag wie jeder andere – ganz normal, ganz gemütlich. Ich lag noch im Bett und vertiefte mich in mein Buch: Verhaltensmuster und Coping-Strategien. Wieder mau öpis anders aus Schulmedizin oder Pflänzli wälze!
Denn wer mich etwas besser kennt, der weiß: Kognitivismus und Behaviorismus ist seit Jahren so etwas wie ein persönliches Hobby geworden. Es fasziniert mich immer wieder aufs neue, die Verhaltensweisen und die Informationsverarbeitung von Menschen – und auch von mir selbst – zu beobachten, zu erkennen und besser zu verstehen.
Im erwähnten Buch gibt es eine Anleitung, um das Gelesene praktisch zu üben – für den Fall, dass sich irgendwann eine Gelegenheit bieten würde.
Oooooch, dachte sich da das Universum genau in jenem Moment:
Jetzt ist doch der richtige Zeitpunkt für eine dieser Übungen. Und schwupps, schickte es mich ohne grosse Vorankündigung direkt in die Nesseln...

Nun saß ich da, in dieser "unangenehmen" Situation – mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Meine Antennen waren hochaktiv und erfassten die Diskrepanz der Situation blitzschnell, ebenso wie die Verletzungen, die von den Beteiligten spürbar in der Luft hingen.
Umstimmung ist hier doch das Mittel der Wahl, dachte ich!
Noch war ich guter Dinge und hoffte, auf Verständnis und Respekt was für mich "eigentlich" grundlegende Werte sind.
Doch schnell musste ich feststellen, dass diese Grundwerte offenbar nicht für alle selbstverständlich sind. Dabei ist doch die Grundlage das Fundament, auf dem alles andere aufbaut. Zu glauben, dass dieses Fundament bei jedem gleichermaßen gefestigt ist, war ein Irrtum – mein Irrtum!
Entschuldige, wenn das jetzt etwas provokant klingt, aber: Dieses Fundament wirkt bei vielen Menschen erstaunlich instabil oder ist erst gar nicht vorhanden.

Und so findet man sich schneller, als man denken oder spüren kann, in einem emotionalen „Kindergarten“ wieder – oder, wie in meinem Fall, direkt in den Nesseln! Mein Versuch, die Situation zu harmonisieren, verpuffte also wirkungslos im Raum...

Etwas Gutes hatte es dennoch. Durch mein Verweilen in den Nesseln fand ich mich ein Stück weit abseits des eigentlichen Geschehens wieder – und genau diese natürlich distanzierte Perspektive schenkte mir diese bedeutsame Erkenntnis. Ich konnte beobachten, wie Menschen agieren, wenn sie nicht in ihrer Mitte ruhen, wenn sie weit von sich selbst entfernt sind und/oder ihr Fundament zusammen bricht. Ihre Worte und Taten scheinen ungefiltert, oft verletzend, als ob sie die inneren Konflikte, die in ihnen toben, nach außen projizieren, um dort nach einer Lösung zu suchen. Doch dieser Kampf trifft meist andere und verletzt sie, während die eigentlichen Ursachen im Verborgenen und unentdeckt bleiben.
Gleichzeitig wurde mir etwas ebenso Essenzielles bewusst: mein eigenes Coping-Verhalten. Eine Strategie, die ich immer wieder in meinem Leben eingesetzt habe – manchmal mit Erfolg und in bestimmten Momenten vielleicht sogar berechtigt. Doch nüchtern und aus der Distanz betrachtet, hat sie mich in den meisten Fällen nicht wirklich weitergebracht. Im Gegenteil: Oft hat sie mich eher von mir selbst entfernt, anstatt mich näher zu mir geführt.

Und ja, auch ich habe Menschen verletzt oder verletze Menschen. Auch ich habe schon wild um mich geschlagen. Ich möchte mich hier nicht raus nehmen. Mein Licht ist nicht makellos, nicht perfekt. Nein, das bin ich definitiv nicht. Ich bin weit davon entfernt, perfekt zu sein. Dafür aber ganz nahe daran -  einfach Andrea zu sein!
Und genau deshalb bemühe ich mich, meine Handlungen zu reflektieren und mich selbst ehrlich zu beobachten, auch – oder gerade – in meinen schwächsten Momenten. Es ist mein Anspruch an mich, mich mit meinen Handlungen und Fehlern auseinanderzusetzen, sie nicht zu beschönigen, sondern aus ihnen zu lernen – immer wieder und jeden Tag aufs Neue.

Ps: In die „Nesseln“ habe ich mich übrigens selbst gesetzt... Ein weiteres Muster, eine Gewohnheit, die ich nun nach über 36 Jahren aufdecken, annehmen und liebevoll ablegen darf – was für ein Geschenk! Manchmal muss es erst jucken, brennen und Pusteln geben, bevor eine Umstimmung eintreten und Heilung den Raum erfüllen darf.